Die aramäische Sprache ist eine der ältesten Sprachen der Welt und gehört zum Hauptzweig des semitischen Sprachstamms.

Gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. trat Aramäisch erstmals in Mesopotamien, dem fruchtbaren Halbmond des antiken Nahen Ostens, in Erscheinung. Zu Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. breiteten sich allmählich in allen Ländern des Nahen Ostens seine geschriebenen und gesprochenen Formen aus. Es war die Sprache der Aramäer, Assyrer, Chaldäer, Hebräer und Syrer. Sprachwissenschaftler zählen Aramäisch zur afro-asiatischen Sprachfamilie.

 

Historiker leiten das Wort „Aramäisch“ von Aram ab. Nach der Bibel war Aram der Sohn Sems, dem Stammvater der Semiten und der Enkel Noahs (siehe Genesis 10:22). Aram gilt als Stammvater der Aramäer, einem bedeutenden westsemitischen Volk. Aramäisch ist das bestdokumentierte und nachweislich älteste Mitglied der nordwestsemitischen Unterfamilie semitischer Dialekte. Mit der Zeit gewann es alle Bevölkerungsschichten, Regierungsvertreter, Kaufleute und Schriftsteller, denn das aramäische Alphabet war praktisch und seine Schreib- und Sprechweise einfach. Vom Anfang des 1. Jahrtausend v. Chr. an wird die aramäische Sprache zur Verkehrssprache (lingua franca) des Vorderen Orients, also in Politik, Kultur und Handel. So wurde Aramäisch im Laufe des 8. Jahrhunderts v. Chr. von Ägypten über Kleinasien bis nach Pakistan zur meistgesprochenen Sprache. Assyrien und Chaldäa (Babylon) benutzten diese Sprache. Die persische (iranische) Regierung machte in ihren westlichen Provinzen von ihr Gebrauch und vom 6. Jahrhundert v. Chr. an wurde Aramäisch als Kanzleisprache des Perserreiches verwendet.

 

Das Aramäische überlebte den Fall von Ninive (612 v. Chr.) und Babylon (539 v. Chr.) und blieb die Amtssprache der Perserdynastie der Achaimeniden (559-330 v. Chr.), bis es durch die Eroberungen Alexanders des Großen vom Griechischen verdrängt wurde (330 v. Chr.).

 

Bis ins 7. Jahrhundert n. Chr. blieb Aramäisch die gemeinsame Sprache des Nahen Ostens; dann begann allmählich Arabisch Aramäisch als vorherrschende Sprache des Ostens zu verdrängen. Ungeachtet dessen hielten die Christen in Mesopotamien (Irak), im Iran, in Syrien, in der Türkei und dem Libanon diese Sprache im häuslichen, akademischen, schulischen und liturgischen Bereich am Leben. Trotz des Drucks seitens der arabischen Regierungen, Arabisch zu sprechen, überlebte das Aramäische bis heute.

 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Aramäisch die vorherrschende Sprache für die Entstehung und Verbreitung geistiger und intellektueller Ideen im Nahen Osten war. Professor Franz Rosenthal, ein herausragender Gelehrter des Aramäischen und Arabischen, schreibt im „Journal of Near Eastern Studies“:

Aus meiner Sicht stellt die Geschichte des Aramäischen den reinsten Sieg des menschlichen Geistes, wie er in der Sprache (als der direktesten körperlichen Ausdrucksweise des Geistes) verkörpert wird, über die rohe Zurschaustellung materieller Macht dar. Große Reiche wurden von der aramäischen Sprache erobert, und als sie verschwanden und im Strom der Geschichte untertauchten, hatte diese Sprache Bestand und lebte ihr eigenes Leben weiter. Auch weiterhin spielte sie eine wirksame und aktive Rolle in der Verbreitung geistiger Belange. Sie war das Hauptinstrument, religiöse Vorstellungen im Nahen Osten zu formulieren, die sich dann in alle Richtungen über die ganze Welt verbreiteten. Die monotheistischen Gruppen leben bis heute mit einem religiösen Erbe, das in vielem seinen ersten Ausdruck in Aramäisch fand.“ (Prof. Franz Rosenthal, „Aramaic Studies during the past thirty years“ in Journal of Near Eastern Studies, Chicago, 1978, S. 81-82)

 

Aramäisch ist auch eine der Sprachen des Alten Testamentes. So sind einige Teile der Bibel in aramäischer Sprache geschrieben. Genesis 31,47; Jeremia 10,11; Esra 4,8 – 6,18; 7, 12-26 und Daniel 2, 4b-7,28.

Aramäisch war auch die Sprache Jesu, in der er lehrte und seine Botschaft verkündete. In ganz Palästina, im Libanon, in Syrien und Mesopotamien verkündeten und lehrten die Apostel, Jünger und Anhänger Jesu seine frohe Botschaft in Aramäisch.

Das Matthäus Evangelium wurde ursprünglich nach Ansicht einiger Wissenschaftler in Aramäisch abgefasst. Das Neue Testament wurde sehr früh aus dem Griechischen ins Aramäische übersetzt. Die älteste vollständig erhaltene Ausgabe des aramäischen Neuen Testaments datiert auf das 6. oder 7. Jahrhundert n. Chr.

 

Es ist eine bekannte Sprache innerhalb der Kirche Jesu Christi. Zusammen mit Griechisch und Latein ist es eine der Sprachen, die von den Kirchenvätern hochgeschätzt wurden. Die aramäische Sprache ist für die Bibel- und Geschichtswissenschaft unentbehrlich, daher wird sie noch in vielen Universitäten gelehrt.

 

Bis zum heutigen Tage existiert diese semitische Sprache in mündlicher und schriftlicher Form. Moderne Aramäer, Assyrer, Chaldäer und andere semitische Gemeinschaften im Nahen und Mittleren Osten, in Deutschland, Österreich, Schweden, Holland, Frankreich, Belgien, in der Schweiz, den USA, Australien und anderswo sprechen sie regelmäßig zu Hause, in ihren sozialen und politischen Zusammenkünften und halten in ihr Gottesdienst.

 


Die aramäische Schrift läuft wie die anderen semitischen Schriften von rechts nach links; sie besteht aus 22 Buchstaben und besitzt fünf Vokalzeichen.