Das 20. Jh. erlebte eine umfassende Emigration von Christen aus dem Mittleren Osten. Sie kamen aus allen Kirchen, doch die Form der Emigration war von Gemeinschaft zu Gemeinschaft verschieden. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass die Emigration – jedenfalls soweit es die syrisch-orthodoxe Kirche betrifft – in der ersten Hälfte des 20. Jh.s hauptsächlich nach Amerika erfolgte, während sie in den letzten vier Jahrzehnten des Jahrhunderts vorwiegend auf Westeuropa gerichtet war, obwohl eine gewisse Zahl auch in das entlegene Australien emigrierte.

 

Die Migrationsbewegung innerhalb des Mittleren Ostens

 

Ein großer Teil der Menschen, denen es gelungen war, vor den Massakern von 1895/96, 1915 und den Folgejahren zu fliehen, war aus der Heimat vertrieben worden und gezwungen abzuwandern, in der Regel nach Süden, also nach Syrien und Palästina, oder in den Irak. Diese Flüchtlinge ließen sich normalerweise in den größeren Städten nieder. In Ostsyrien jedoch (wo es damals nur eine geringe Bevölkerungsdichte gab) wurde eigens die neue Stadt „Qamischli (aramäisch: Beth Zallin „Ort des Schilfrohrs“) unmittelbar jenseits der Grenze von Nusaybin (Nisibis) gegründet. Die Menschen in Qamischli kamen vorwiegend aus dem Tur Abdin, während sich die Flüchtlinge aus Mardin eher in Hassekeh (Syrien) niederließen. Darüber hinaus wurde Ostsyrien im Jahr 1933 zur neuen Heimat für eine große Zahl von Flüchtlingen aus dem Irak, die zur Kirche des Ostens gehörten. Diese Menschen siedelten sich hauptsächlich in Dörfern entlang des Flusses Khabur an. Vor 1918 lag ihre Heimat in der bergigen Hakkari-Region in der Ost-Türkei. Was in Urfa (Edessa) noch an aramäischer Bevölkerung übriggeblieben war, musste die Stadt Abgars im Jahr 1924 endgültig verlassen. Sie begann ein neues Leben in Aleppo (Syrien), wo sie ihre Identität bewahrte und ein eigenes Viertel mit einer eigenen Kirche (Mor Gewargis, erbaut 1932) bewohnt.

 

Seit Mitte der fünfziger Jahre des 20. Jh.s gibt es eine bedeutende Zahl von Aramäern, die aus dem Tur Abdin nach Istanbul zogen. Bereits in den dreißiger Jahren des 19. Jh.s hatten sich hier einige Syrisch-Orthodoxe aus Bitlis, Simhor und Elazig niedergelassen. 1844 bat Patriarch Ignatius Jakob II. den Sultan mit Erfolg um eine kleine Kirche, die 1856 geweiht wurde. Mit dem neuen Zustrom an Familien wurde es 1961 notwendig, die ursprüngliche Kirche zu vergrößern. Zu diesem Zweck wurden eigens aus Mardin Steine herbeigeschafft, die von den Steinmetzmeistern Sait Mimarbaschi und Lole Ertas behauen worden waren. Am 3. November 1963 wurde die der Mutter Gottes gewidmete Kirche vom Patriarchen geweiht und ihr Priester Khouri Samuel Ezber zum Patriarchalvikar ernannt. 1986 war die Zahl der Syrisch-Orthodoxen in der Stadt so weit angestiegen, dass ein neues Patriarchalvikariat von Istanbul eingerichtet wurde (am 28. September 1986). Mor Philoxenos Yusuf Cetin (ein ehemaliger Mönch aus dem Kloster Mor Gabriel) wurde zum ersten Metropoliten ernannt. 1993 gab es über 1.500 Familien am Ort. Die heutige Gemeinde wird von sieben Priestern versorgt und benutzt sechs weitere Kirchen, die von der kleinen katholischen Gemeinde Istanbul nicht mehr benötigt wurden.

Im gesammten Mittleren Osten zogen größere Städte die Menschen aus den Dörfern an. So verlagerte sich ein Großteil der Bevölkerung aus den überwiegend aramäischen Dörfern südöstlich von Homs (Syrien) in verschiedene größere Städte Syriens. Vielleicht ist Bagdad diejenige Stadt des Mittleren Ostens, deren syrisch-orthodoxe und übrige christliche Bevölkerung sich aufgrund dieser Entwicklung am stärksten vergrößerte.

 

1988 und nochmals während des Golfkrieges 1991 verließen viele Mitglieder der unterschiedlichen syrischen Kirchen den Nordirak und flohen in den Tur Abdin, wo sich das Mor Gabriel-Kloster um viele von ihnen kümmerte, bis sie in der Lage waren, in weiter westlich gelegene Städte zu wandern. Die verschiedenen kleinen ölreichen Länder der Golfregion benötigten oft ausländische Arbeitnehmer. So zog eine Anzahl an Syrisch-Orthodoxen nach Kuwait, wo 1959 eine Gemeinde eingerichtet worden war. Allerdings kehrten ihr viele Familien während des Golfkrieges den Rücken. Eine gegenläufige Bewegung fand mit der Einwanderung von Syrisch-Orthodoxen aus Indien in den Mittleren Osten statt; auch sie suchten Arbeit in den verschiedenen Golfstaaten, insbesondere in den Vereinigten Arabischen Emiraten. So gibt es heute in Scharjah eine Kirche (der Mutter Gottes gewidmet), die von Syrisch-Orthodoxen aus Kerala (Indien) auf einem Grundstück erbaut wurde, das der Herrscher von Scharjah zur Verfügung gestellt hatte. Diese Kirche wurde am 28. November 1997 von Patriarch Ignatius Zakka I. geweiht. Auch an vielen anderen Orten besitzen die syrisch-orthodoxen Emigranten heute Kirchen, zB in Dubai (St. Ignatius).

 

Die Emigration nach Nord- und Südamerika

 

 

Statt sich nach den Massakern von 1895/96 in die ungeklärte Situation in der Ost-Türkei zurückzubegeben, zogen viele Flüchtlinge die Emigration vor. In dieser Zeit nahm Nordamerika eine große Zahl von Immigranten aus Europa auf, und so gelangte ein beträchtlicher Teil der Aramäer, die den Mittleren Osten verließen, nach Amerika. Normalerweise ließen sich Flüchtlinge, die aus derselben Gegen stammten, in Amerika an einem gemeinsamen Ort nieder. So fanden Emigranten aus Diyarbakir in den späten neunziger Jahren des 19. Jh.s überwiegend eine neue Heimat in New Jersey, solche aus Kharput in Massachussets, die aus Mardin in Kanada (Montreal und Sherbrooke) und diejenigen aus dem Tur Abdin in Rhode Island. Kurz nach der Jahrhundertwende kam ein neuer Schub von Aramäer aus Dörfern wie Feyrouza und Zeydal in der Gegend von Homs; sie ließen sich in Detroit nieder, einige wenige Familien zogen später weiter nach Florida.

 

Die nächste Emigrationswelle traf in den Jahren nach den Massakern von 1915 ein. Größtenteils stammten diese Einwanderer aus dem Gebiet des Tur Abdin. Es überraschte nicht, dass auch sie sich in Rhode Island niederließen, bei den früheren Emigranten aus ihrer Heimat. Später zog eine Reihe von Familien weiter an die Westküste in die Gegend von Los Angeles. Eine weitere Emigrationswelle erreichte die USA um 1950, diesmal aus Palästina, wo die Einwanderer der unsicheren Situation entgehen wollten, die durch die Schaffung des Staates Israel im Jahr 1948 entstanden war. Zu denen, die damals aufbrachen und sich in New Jersey niederließen, gehörte auch Mor Athanasius Yeshue Samuel, der Metropolit von Jerusalem.

 

Die jüngste Gruppe der aramäischen Emigranten kam aus dem Irak – zunächst in den sechziger und dann in den neunziger Jahren des 20. Jh.s infolge des Golfkrieges und seiner Nachwirkungen.

 

Zufällig war es ein früherer Metropolit von Jerusalem, nämlich Mor Iwannis Elia Halluli, der 1907 Hanna Koorie als ersten Priester für den Dienst in Nordamerika ordinierte. Rund 20 Jahre später weihte der künftige Patriarch Ephrem Barsaum (damals Metropolit von Syrien) zwei syrisch-orthodoxe Kirchen ein, eine in West New York (April 1927), die andere in Worcester, Massachussets (April 1928). Beide Kirchen waren der Mutter Gottes gewidmet. In der Zwischenzeit baute man in Central Falls in Rhode Island eine weitere Kirche, diesmal St. Ephrem gewidmet (sie viel zweimal Feuern zum Opfer und musste 1949 und 1963 wieder aufgebaut werden). Mitte des Jahrhunderts konnten zwei weitere Kirchen eingesegnet werden, nämlich St. Johannes Chrysostomos in Detroit (August 1949) und St. Ephrem in Sherbrooke (Kanada, August 1952). Beide Weihungen nahm Mor Athanasius Samuel vor, der Ende Jänner 1949 in den Vereinigten Staaten eingetroffen war. 1952 wurde er zum Patriarchalvikar ernannt und 1957 offiziell zum Erzbischof der USA und Kanada. Unter seiner Leitung gelangte die syrisch-orthodoxe Kirche in Nordamerika zu öffentlichem Ansehen. Ein Indiz für das Wohlergehen der Gemeinschaft ist, dass mehrere weitere Kirchen erworben oder erbaut werden konnten:

 

in Burbank (Kalifornien, 1966), Paramus (New Jersey, 1968), Southfield (Michigan, 1968), Chicago (Illinois, 1972), Montreal (Quebec, 1972) und Toronto (Ontario, 1973). Noch davor erwarb man eine Kirche in Teaneck (New Jersey), die seitdem als Kathedrale für diese Diözese dient (St. Markus gewidmet).

Mor Athanasius Samuel starb 1995. Zum Zeitpunkt seines Todes machte es die Zahl syrisch-orthodoxer Kirchengemeinden in Nordamerika erforderlich, die Diözese in drei Patriarchatsvikariate aufzuteilen: die östlichen und westlichen Vereinigten Staaten sowie Kanada.

 

Neben den syrisch-orthodoxen Emigranten aus dem Mittleren Osten kam auch eine größere Anzahl aus Kerala (Indien) nach Amerika. Heute haben sie ihre eigene Erzdiözese. Diese Emigranten aus dem Mittleren Osten zogen jedoch nicht nur nach Nordamerika. Nach den Massakern von 1895/96 wanderten viele auch nach Südamerika aus und ließen sich in Brasilien (Sao Paulo und Campo Grande) und Argentinien nieder (Buenos Aires, Cordoba und Frias-S.Estiro). Später siedelten sich auch mehrere Familien in Chile an.

 

Die Emigration nach Europa

 

 

Zwar hatte es schon in der ersten Hälfte des 20. Jh.s Auswanderer in verschiedene Teile Europas gegeben, doch erst seit den sechziger Jahren nahm diese Bewegung an Umfang zu und erreichte, insbesondere was den Tur Abdin betrifft, beträchtliche Ausmaße. Andere Länder, aus denen viele Aramäer auswanderten, sind Syrien, der Libanon (eine Folge des dortigen Bürgerkrieges), Jordanien und die von Israel besetzten Gebiete sowie der Irak (vor allem wegen des Krieges mit dem Iran und später wegen des Golfkrieges). Die große Auswanderungswelle aus dem Tur Abdin nach Europa führte 1977 zur Gründung von zwei neuen Diözesen, der von Mitteleuropa sowie der von Schweden und Großbritannien. Später wurden beide geteilt Es entstand ein Patriarchalvikar in Schweden (1994) und die eigenständige Diözese von Deutschland (1997).

 

Die Emigration nach Europa - Deutschland

 

 

Seit ungefähr 1963 kamen Gastarbeiter aus dem Tur Abdin nach Deutschland. Dies war eine Folge der Vereinbarung zwischen der türkischen und der westdeutschen Regierung von 1961, die einen Anreiz für türkische Arbeitnehmer schuf, eine Beschäftigung in Deutschland anzunehmen. In den späten sechziger und frühen siebziger Jahren wuchs die Zahl der Aramäer in Deutschland sprunghaft, doch wurde der Zufluß 1973 gestoppt, als man keine weiteren Gastarbeiter mehr aufnahm. Seit dieser Zeit wurden nur noch diejenigen zugelassen, die erfolgreich einen Flüchtlingsstatus geltend machen konnten. In den achtziger Jahren wurde die Situation im Tur Abdin zunehmend instabil, als das aramäische Volk zwischen die Fronten der türkischen Armee und der aufständischen PKK (Kurdische Arbeiterpartei) geriet. Zu den Konsequenzen gehörte, dass eine Anzahl von Dörfern wie Kafro Tahtoyto und Hassana gewaltsam evakuiert und anschließend aus Sicherheitsgründen gesprengt wurden. Bis zum Jahr 1971 war die Zahl der syrisch-orthodoxen Christen in Deutschland so weit angestiegen, dass sie der Dienste eines Priesters bedurften. So wurde Bitris Ögunc, ein ehemaliger Lehrer aus Midyat, ordiniert, damit er sich um die seelischen Bedürfnisse der verstreut lebenden Gemeinschaft kümmerte. Seit 1974 sind über 20 Priester aus Dörfern im Tur Abdin nach Deutschland ausgewandert. Als schließlich 1977 die neue Diözese von Mittel- (bzw. Zentral-) Europa gegründet wurde, ordinierte man etwa 25 neue Priester speziell für die recht große Zahl von Gemeinden, die in Deutschland entstanden waren und von denen viele bereits eigene Kirchen besaßen, die sie entweder selbst errichtet oder von der katholischen oder evangelischen Kirche in Deutschland angekauft hatten. Es überrascht nicht, dass Familien, die aus dem gleichen Dorf oder der gleichen Stadt in der Türkei stammten, sich oft an einem gemeinsamen Ort in Deutschland niederließen.

 

Nach Einrichtung der Diözese von Mitteleuropa (1977) wurde eine Versammlung in Ochsenfurt abgehalten, auf der zehn Kirchenbezirke gegründet wurden, von denen fünf in Deutschland lagen. Für sie gab es insgesamt nur drei Priester. Man schätzt, dass damals bereits rund 7.000 syrisch-orthodoxen Christen in Deutschland lebten. Zehn Jahre später war ihre Zahl auf 40.000 angewachsen. Heute sind es über 50.000.

In dem Prozess, sich einer vollkommenen neuen Situation anzupassen, konnte die syrisch-orthodoxe Kirche von großer praktischer und finanzieller Unterstützung seitens der katholischen und der lutherischen Kirchen in Deutschland profitieren. Ihre Präsenz zeigte die syrisch-orthodoxe Kirche auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart (1999) und auf dem Katholikentag in Hamburg (2000).

 

1997 wurde die Diözese von Mitteleuropa aufgeteilt und die neue Diözese von Deutschland gegründet. Ein Jahr zuvor war es den Syrisch-Orthodoxen mögliche geworden, ein ehemaliges Dominikanerkloster in Warburg zu kaufen. Es ist nun St. Jakob von Serugh gewidmet (eingesegnet am 27. August 2000) und dient heute als Residenz des Metropoliten von Deutschland.

 

Die Emigration nach Europa  - Niederlande

 

 

 

Die Zahl an Gastarbeitern aus dem Tur Abdin, die in die Niederlande auswanderten (hauptsächlich in den frühen siebziger Jahren), war nicht groß. Seit 1975 begannen jedoch sehr viel mehr Menschen, Asyl zu beantragen. Es war nicht leicht, diesen Rechtstatus zu erlangen, und so wurde 1979 als Protest gegenüber den Behörden ein aufsehenerregender Sitzstreik in der Kathedrale von ’s-Hertogenbosch durchgeführt, der 100 Tage lang von März bis Juni andauerte.

 

Die meisten Syrisch-Orthodoxen ließen sich in den östlichen Niederlanden nieder. 1977 waren die rund 100 Familien, die damals in Hengelo lebten, in der Lage, eine Kirche zu erwerben (St. Johannes der Apostel). In demselben Jahr wurde die neue Diözese von Mitteleuropa eingerichtet, mit Rabban Yeshu’Cicek als Patriarchalvikar (eingesegnet als Metropolit Mor Julius am 24. Juni 1979). 1981 wurde es möglich, ein ehemaliges katholisches Kloster in Glane nahe der Grenze zu Deutschland zu kaufen. Heute ist es als Mor Ephrem Kloster (eingesegnet am 7. Juli 1984) auch Sitz der Erzdiözese.

Ende des 20. Jh.s war die Zahl der Syrisch-Orthodoxen in den Niederlanden auf über 12.000 angestiegen. Die Gemeinden konzentrierten sich auf Amsterdam, Enschede, Hengelo, Oldenzaal und Rijssen.

 

Zwischen 1971 und 1997 wurden in der Diözese von Mitteleuropa nicht weniger als 38 neue Priester ordiniert, und über 20 kamen aus dem Tur Abdin. Interessanterweise stammt die größte Zahl von ihnen aus dem Dorf Mzizah; es ist nicht überraschend, dass als nächstes die Stadt Midyat folgt und dann ’Ainwardo sowie Bequsyone.

 

Die Emigration nach Europa - Schweden

 

 

 

Die Emigration nach Europa – andere Länder

 

 

 

Die nächstgrößeren Gruppen von Syrisch-Orthodoxen aus dem Tur Abdin leben in Belgien und der Schweiz. Während die meisten der in Belgien Lebenden (über 3.000) seit 1980 als Asylsuchende gekommen sind, reisten viele von denen in der Schweiz (hier leben über 5.000) als Gastarbieter ein. In Belgien ließen sich die meisten in Brüssel nieder (dort gibt es heute zwei Kirchen). In der Schweiz leben 950 Familien verstreut über sieben Kantone; für sie leiten vier Priester Dienst. Die Streuung der Gemeinden und der hohen Landpreise in der Schweiz verhinderten bisher den Bau neuer syrisch-orthodoxer Kirchen, doch wurde es 1996 möglich, ein ehemaliges Kapuzinerkloster in Arth zu kaufen, das am Südufer des Züger Sees liegt. Dieses alte Gebäude, das 1665 als Kloster gegründet worden war, konnte am 20. Juni 1999 als Kloster St. Augen geweiht werden.


Austria

 

 

 

Gemessen an der Zahl der syrisch-orthodoxen Immigranten (über 2.500) rangiert Österreich an nächster Stelle. Die ersten kamen in den frühen sechziger Jahren und ließen sich meist in Wien nieder. Seit 1973 hat die Gemeinde ihren eigenen Priester, und im folgenden Jahr stellte die katholische Erzdiözese von Wien der syrisch-orthodoxen Gemeinde großzügigerweise die Canisius-Kirche in Wien-Lainz zur Verfügung. Am 22. September 1974 wurde sie im Rahmen einer Zeremonie übergeben. Der dabei anwesende Erzbischof Athanasius Samuel zelebrierte die erste syrisch-orthodoxe Liturgie.
 
Da Wien Sitz der Pro Oriente Stiftung ist, die 1964 von Kardinal König gegründet worden war, konnte die syrisch-orthodoxen Gemeinde an vielen ökumenischen Begegnungen teilnehmen, die Pro Oriente seitdem veranstaltet hat. Am 25. Februar 1988 erkannte die österreichische Regierung die syrisch-orthodoxe Kirche in Österreich offiziell an. Dies war das erste Mal, dass sich ein europäischer Staat zu solch einer Maßnahme bereit fand. Dieses Ereignis darf deshalb als wichtiger Meilenstein in der Geschichte der syrisch-orthodoxen Diaspora in Europa gelten.

 

Heute gibt es in Österreich zwei syrisch-orthodoxen Kirchen:

 

1. St. Ephrem, Kirchlicher Leiter: Chorepiskopus Dr. Emanuel Aydin

    Lainzer Straße 154 a, A-1130 Wien

2. St. Petrus und Paulus, Kirchlicher Leiter: Pater Mag. Sami Ucel

    Galvanigasse 1, 1210 Wien

    www.st-petrusundpaulus.at, post@st-petrusunpaulus.at

 

 

 

 

Die Zahl der syrisch-orthodoxen Immigranten in den anderen europäischen Länder ist viel geringer. In Frankreich und Großbritannien stammen sie meist aus dem Irak und kamen vor der großen Emigrationswelle aus dem Tur Abdin an. In Frankreich, wo es seit 1986 einen Priester gibt, ist der Bau einer neuen Kirche in der Umgebung von Paris nahezu abgeschlossen (in Paris selbst befindet sich die syrisch-katholische Kirche St. Ephrem). Zwar leben die meisten syrisch-orthodoxen Familien in der Gegend von Paris, doch haben sich einige auch in Lyon und Marseille niedergelassen. In Großbritannien ist die syrisch-orthodoxe Gemeinschaft recht zersplittert, doch verfügt sie heute über einen ständigen Priester.

 

Die Emigration nach Australien

 

Die Emigration nach Australien begann in den frühen siebziger Jahren. Bereits 1970 waren in Sydney hinreichend viele Familien angekommen, um die Vereinigung von St. Ephrem dem Syrer ins Leben zu rufen. Zwei Jahre später konstituierte sich eine ähnliche Vereinigung in Melbourne. Doch zunächst ereignete sich eine Tragödie: Der erste Priester, der in der Gemeinde Dienst tun sollte, kam 1972 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Erst am 12. Februar 1978 konnte die erste syrisch-orthodoxe Liturgie in Australien gefeiert werden. Seitdem wuchs die Gemeinschaft stetig an. Im Jahr 2000 gab es sieben Kirchen, davon eine von der Gemeinschaft selbst errichtete (Mor Ya’qub Burd’ono, Melbourne/Victoria); die Grundsteinlegung 1994 sowie die Einsegnung des vollendeten Kirchenbaues am 4. Jänner 1998 führte Patriarch Ignatius Zakka I. durch. Bis 1989, als im westlichen Australien die Kirche von St. Ephrem in Perth eingerichtet wurde, hatte sich die syrisch-orthodoxe Präsenz hauptsächlich auf die Gebiete von Sydney und Melbourne konzentriert (nach einer Schätzung gab es 1994 ca. 300 Familien in Sydney, 200 in Melbourne und 20 in Perth). Die Gemeinde in Sydney trat anlässlich des 8. Internationalen Symposium Syriacum, das im Juni 2000 in Sydney abgehalten wurde, als abendlicher Gastgeber auf.

 

 

Der Mittlere Osten nach der Emigration

 

 

Zwar hinterließen die verschiedenen großen Emigrationswellen im 20. Jh. ihre Spuren, doch ist die zahlenmäßig geschwächte syrisch-orthodoxe Kirche in ihren Heimatgebieten des Mittleren Ostens weiterhin präsent. Insbesondere in Syrien haben in den letzten Jahrzehnten bemerkenswerte Entwicklungen stattgefunden, vor allem dank der Weitsichtigkeit des Patriarchen Ignatius Zakka I. Der Bau des neuen großen Klosters und Seminars von St. Ephrem in Ma’arret Saidnaya, nördlich von Damaskus, ist von besonderer Bedeutung, weil die Vorbereitung und Ausbildung des künftigen Klerus lebensnotwendig für das weitere Wohl der Kirche ist. Die Einsegnung und offizielle Eröffnung des Seminars von Mor Ephrem fand am 13./14. September 1996 statt, nur vier Jahre, nachdem das Grundstück für das Gebäude gekauft worden war. Exakt drei Jahre später konnte am 14. September 1999 die imposante angrenzende Kirche, die St. Petrus und Paulus gewidmet ist, ebenfalls durch den Patriarchen geweiht werden. Da Klöster stets eine wesentliche kulturelle Rolle in der Geschichte der syrisch-orthodoxen Kirche gespielt haben, war es eine weitsichtige Idee des Metropoliten von Jazirah und dem Euphrat, Mor Ostathios Matta Rohom, sich für den Bau eines neuen Klosters in Tel Wardiyat, westlich von Hassekeh in Ostsyrien, zu entscheiden. Dieses Kloster der Mutter Gottes wurde erst kürzlich fertiggestellt. Seine elegante Architektur und gestaltung nehmen traditionelle Formen und Motive auf und sind besonders ansprechend. Dieses neue Kloster, das am 15. August 2000 geweiht wurde, wird zweifellos als bedeutender geistlicher und kultureller Mittelpunkt für die Syrisch-Orthodoxen in jener Gegend dienen.

 

Im 5. und 6. Jh. war die Gegend zwischen Aleppo und Damaskus voller Klöster und Kirchen. Eines dieser Klöster, das in Tel’Ada (ein wenig südlich von Qal’at Sim’an), hat in der Kulturgeschichte der syrisch-orthodoxen Gemeinschaft jener Zeit eine besonders wichtige Rolle gespielt. In Erinnerung daran erwarb der Metropolit von Aleppo, Mor Gregorius Yohanna Ibrahim, vor einigen Jahren (1987) das Land, auf dem die Ruinen des Klosters stehen, für die syrisch-orthodoxe Kirche. Es besteht die Hoffnung, dass hier eines Tages ein neues Kloster errichtet werden kann, dass der syrisch-orthodoxen Gemeinschaft als Quelle für Spiritualität und Bildung dient. Bisher war es allerdings noch nicht möglich, eine Baugenehmigung für dieses bedeutende Projekt zu erhalten.